Erklärung zur Politik des Bundesinnenministers Horst Seehofer
Als Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende, Kulturvermittlerinnen und -vermittler sind wir
entsetzt darüber,
dass der Bundesinnenminister fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiert und dem
internationalen Ansehen des Landes schadet;
dass er die Migrationsfrage zur „Mutter aller politischen Probleme“ erklärt und damit 18,6 Millionen
Menschen, die mit migrantischen Wurzeln in Deutschland leben, in Geiselhaft nimmt und als eine Ursache
dieser ‚Probleme’ hinstellt;
wir sind entsetzt darüber,
dass der Bundesinnenminister die hohe Anzahl von 69 Abschiebungen nach Afghanistan mit seinem 69.
Geburtstag in Verbindung bringt;
dass er als Bundesinnenminister in einem oberbayerischen Bierzelt ausruft: „Und ich bin auch froh über
jeden, der bei uns in Deutschland straftätig wird, straffällig, und aus dem Ausland stammt“;
dass er die rassistischen und kriminellen Übergriffe bei der Chemnitzer Demonstration durch die Aussage
bagatellisiert, er wäre am liebsten „auch auf die Straße gegangen“. Seehofer verschweigt dabei die
zahlreichen Aktivitäten eines rechtsradikalen Mobs – und lässt sich in seiner fatalen Fehleinschätzung
überdies flankieren von dem ihm unterstellten Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, der von
Amts wegen die Verfassung schützen und nicht politisch agieren sollte;
und wir sind schließlich entsetzt darüber,
dass Seehofer nun diesen Verfassungsschutzpräsidenten zum Staatssekretär in seinem Bundesinnenministerium
befördert, dabei den Koalitionsfrieden als Druckmittel benutzt und als Bundesminister die politischen
Kräfte stärkt, die sich nicht eindeutig von den Chemnitzer Ereignissen abgrenzen.
*
Wir erkennen also nicht mehr, dass sich Horst Seehofer seiner politischen Verantwortung für die
Bundesrepublik Deutschland bewusst ist. Seine enthemmten Bierzeltreden und unschlüssigen
Pressekonferenzen tragen maßgeblich dazu bei, dass sich der Ton der politischen Auseinandersetzung in
diesem Land öffentlich verschärft – und dass dadurch auch die AfD ihre rechtspopulistische und
rechtsradikale Entgleisungsrhetorik immer weitertreibt.
Wir wollen eine stabile demokratische Gesellschaft, in der alle Bürgerinnen und Bürger ihren Platz finden
und Schutzbedürftigen nach Kräften geholfen wird. Dieses Land braucht eine Bundesinnenpolitik, die sich
humanitärer Werte bewusst ist. Natürlich soll möglichst keine Bevormundung der eigenen Bürger stattfinden.
Es soll keine Limits geben. Dennoch sind Online Casinos ohne Einschränkungen etwa nicht derart dem Spielerschutz
verpflichtet wie dies staatlich regulierte Online Spielotheken sind. Daher kann ein begrenzter staatlicher Eingriff
durchaus Sinn ergeben.
Seehofer beschädigt die Werte unserer Verfassung. Sein Verhalten ist provozierend, rückwärtsgewandt und
würdelos gegenüber den Menschen. So verstellt er den Weg in eine zukunftsfähige deutsche Gesellschaft.
Er einigt das Land nicht, er spaltet es.
Horst Seehofer sollte – noch vor der Landtagswahl in Bayern – vom Amt des Bundesinnenministers
zurücktreten.
S t e l l u n g n a h m e
zur ZDF-Sendung „Markus Lanz“
In der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vom 27 September wurde der Autor und Journalist Günter Wallraff vom
Moderator scharf angegriffen, weil er die Erklärung zur Politik des Bundesinnenministers Horst Seehofer
„Würde, Verantwortung, Demokratie“ unterzeichnet hat. Herr Wallraff wurde mit einem Video-Ausschnitt aus
der Rede konfrontiert, in der Minister Seehofer den in der Erklärung zitierten Satz sagte: „Und ich
bin auch froh über jeden, der bei uns in Deutschland straftätig wird, straffällig, und aus dem
Ausland stammt.“
In dem Zuspieler wurden weitere Passagen aus der Rede gezeigt. Markus Lanz behauptete daraufhin, im
Kontext der Rede sei erkennbar, dass Horst Seehofer den zitierten Satz nicht so gemeint habe, wie das
herausgelöste Zitat in der Erklärung es nahelegt. Vielmehr habe Horst Seehofer, so Lanz, „das exakte
Gegenteil“ gemeint. Das Zitat sei mithin „nicht lauter“, die Urheber machten sich und ihre Erklärung
„unglaubwürdig” und agierten mit „Moralismus“.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hat in der besagten Rede wörtlich gesagt:
„Wir haben ja jedes Mal die gleiche Heuchelei. Wenn was passiert, dann kriegt die Politik die Frage
gestellt, auch von den Medien: ‚Warum ist der noch da? Das habt ihr doch gewusst!’. Solange nichts
passiert, und wir handeln, werden diejenigen, die handeln, an den Pranger gestellt. Ich sage Euch:
Ich bin froh, dass der mutmaßliche Leibwächter von Bin Laden außer Landes ist, ich bin froh. Und ich
bin auch froh über jeden, der bei uns in Deutschland straftätig wird, straffällig, und aus dem
Ausland stammt. Auch die müssen das Land verlassen. Ich sage gerade in Anwesenheit ihres Pfarrers
und als Vorsitzender einer christlichen Partei: Wir sind keine Politiker, die jeden Tag frömmeln.
Wir sind Politiker, die ihr politisches Handeln ausrichten nach der christlichen Überzeugung, dem
christlichen Sittengesetz und dem katholischen und evangelischen Katechismus. Deutschland und Bayern
allemal ist christlich geprägt und ist nicht vom Islam geprägt, meine Damen und Herren.“
Die Abschiebung von Sami A., des „mutmaßlichen Leibwächters von Bin Laden“, wurde schon zum Zeitpunkt der
Rede von Juristen mehrheitlich als rechtswidrig angesehen und wenig später auch vom
Oberverwaltungsgericht als „offensichtlich rechtswidrig” beurteilt. Den handelnden Behörden wurde
vorgeworfen, sie hätten Sami A. bewusst an den Gerichten vorbei abgeschoben und sich damit über den
Rechtsstaat hinweggesetzt.
Markus Lanz hat nicht gesagt, wie genau er den zitierten Satz aus dem Kontext heraus versteht. Wir sehen
keine mögliche Auslegung, durch die sich ein Widerspruch von Seehofers Satz zu den Inhalten unserer
Erklärung ergeben würde.
Der Satz, den der Minister tatsächlich sagte, fügt sich nahtlos in eine Reihe von Aussagen Horst
Seehofers, die mit politischem Kalkül fremdenfeindliche Stimmungen bedienen. Selbst wenn wir eine
„verstolperte Formulierung“ annehmen, bleibt die Rede dieser Linie treu. Sollte dem Bundesinnenminister
diese Formulierung tatsächlich versehentlich unterlaufen sein, sehen wir auch darin keinen Nachweis für
seine Eignung zu diesem Amt.
Mit einem spekulativen Argument greifen Markus Lanz und seine Redaktion ein Detail der Erklärung an, um
so den Geist der gesamten Erklärung zu desavouieren. Mit dieser Erklärung haben rund 9000 Menschen aus
verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ihr Entsetzen über Horst Seehofers politisches Taktieren in
den letzten Monaten sowie ihre Sorge um die politische Kultur und das demokratische Rückgrat des Landes
bekundet. Dieses Entsetzen und diese Sorge sind leider wohl begründet.
Die Redaktion einer Sendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sollte sich seriös damit
auseinandersetzen.
Das Vorgehen von Markus Lanz und seiner Redaktion ist inakzeptabel.
Liebe Unterzeichnerinnen und Unterzeichner,
Am Freitag, den 28.09 haben nach sieben Tagen Laufzeit mehr als 8000 Menschen aus allen Bereichen
der Gesellschaft die Erklärung unterschrieben. Wir bedanken uns für diese breite und entschlossene
Unterstützung, für die inhaltlichen Anregungen. Auch in den Medien hat die Erklärung große Resonanz
gefunden. Oben auf dieser Seite gibt es einige Links dazu.
Wir werden die Erklärung mit der Unterzeichnerliste an das Bundesinnenministerium überstellen. Darüber
werden wir hier auf der Website und in der Presse informieren.
P.S. Da wir jede E-Mail anschauen, auch um unseriöse Zuschriften herauszufiltern, dauert es eine Weile,
bis all Eure Namen hier erscheinen können. Es wird nach und nach geschehen.